Donnerstag, 24. Mai 2012

Jörg schüttelt

Wie zwei dominikanische Bingo-Bongo-Rhythmus-Rasseln schüttelte er kraftvoll die kleinen Flaschen Orangensaft hin und her, rauf und runter, hierhin und dorthin - bis es knallte. Das war nicht die Absicht gewesen, geschweige denn das Ziel, doch so geschah es. Und mit eben diesem Knall löste die eine Flasche ihre Form auf, veränderte ihren Zustand von funktionalem, geschlossenem Gefäß in Scherbenhaufen und gab die von ihr beinhaltete Flüssigkeit in einem Schwall frei.
"So ein Mist aber auch", sagte der Schüttler, verließ den Ort des Geschehens, um sich einiger Utensilien zu bemächtigen, die die Möglichkeit bergen, ungewollte Substanzen und Elemente von Orten zu entfernen und nutzte sie anschließend, damit sie ihrem Zweck auch gerecht würden.
Als dies alles getan war, blieb ihm die Aufgabe, für Ersatz zu sorgen für jene dahinzerschellte Flasche. Und auch das tat er.
Nur ganz zum Schluss, als er die Getränke nun endlich zu ihrer sicheren Überdauerung bis zum Zeitpunkt der absichtsvollen Leerung auf dem Tisch abstellte, da hielt er ein ganz klein wenig die Luft an und war ein ganz klein wenig vorsichtig, und als er die Tür hinter sich schloss - da atmete er ein ganz klein wenig erleichtert, dass nicht noch mehr passiert war, aus.

Montag, 21. Mai 2012

Domino

Oh, ja! Ich erinnere mich noch genau, als wäre es gestern gewesen: Wie wir dalagen, übereinandergestapelt, mit aufgerissenen Augen und Mündern. Fünf Knirpse, denen sonst nichts so leicht die Sprache verschlug ...

Es war ein ganz normaler Sommertag gewesen: sonnig, warm und von keiner Wolke getrübt.

Wir waren also fünf: Mirco, Marco, Stefan, Jenny und natürlich ich. Die Zwillinge Mirco und Marco sahen gar nicht aus wie Zwillinge. Meine Mutter hatte mir erklärt, es gäbe solche, die vollkommen gleich aussähen und andere, die wie ganz normale Geschwister waren, nur dass sie zur gleichen Zeit empfangen worden waren (ich weiß noch, wie ich bei diesem Wort kichern musste), die also auch zur gleichen Zeit in der Mutter heranwuchsen und dann natürlich am gleichen Tag geboren wurden. Naja, solche Zwillinge waren also Mirco und Marco. Sie sahen sich ähnlich, aber nicht zum Verwechseln.

Zu der Zeit war auch Jenny einer von uns. Wir machten noch keinen Unterschied zwischen Jungen und Mädchen; das kam erst später.

Am Vormittag hatten wir an unserer Hütte im Wald gearbeitet. Der Pfiff von Stefans Großvater hatte uns, wie immer, rechtzeitig zum Mittagessen nach Hause geholt, aber jeder von uns erhielt das Versprechen, anschließend dürften wir wieder zusammen losziehen. Was wir dann auch taten. Stefan hatte von seiner Großmutter für jeden von uns einen dicken, roten Apfel dabei.

„Heute Nachmittag wird der alte Fritz beerdigt“, begrüßte er uns, als wir wieder aufeinander trafen. Marco und Mirco klatschten in die Hände; Jenny kombinierte scharf, dass es später im Gemeindesaal Kuchen gäbe und ich forderte meine Freunde auf, mir zu folgen: auf zum Friedhof! Denn eines unserer Lieblingsspiele war es, uns in die Nähe der Friedhofsgärtner zu schleichen, die Männern beim Buddeln zu bespitzeln und dabei möglichst selbst nicht gesehen zu werden. Und wenn die Gemeinde kam, um ihre Mitglieder zu beerdigen, stahlen wir uns vom Platz sobald der Trauerzug vorüber war. Aber bis dahin gab es keinen besseren Ort als diesen – mit seinen alten Buchen und Eichen, den zum Teil halb verwitterten Grabsteinen und Familiengruften, die zum Verstecken und Fangenspielen nur so herausforderten.

Die Zwillinge hatten ihre Äpfel schon aufgegessen. Sie waren gierig gewesen! Auch Jenny hatte ihren verdrückt. Sie fand es lästig, ihn in der Hand zu halten. Stefans Exemplar war ihm aus der großen Brusttasche seiner Latzhose gefallen, als er sich kopfüber in den dicksten Ast der weitverzweigtesten aller Klettereichen gehängt hatte. Dabei war der Apfel ausgerechnet im Stechginster gelandet. Jenny wusste von ihrer Mutter, der sie oft im Garten half, dass man gefälligst die Finger nicht in den Mund steckte, wenn man Stechginster berührt hatte.  Wir nahmen an, dass das für den Apfel auch galt und hatten ihn verloren gegeben.

Nur ich hatte noch meinen, und war sehr zufrieden damit.

Als die Trauergäste sich an diesem Tag dann vor dem Friedhofstor aufgestellt hatten, um in stiller Prozession dem Sarg zu folgen, standen wir hinter der Hecke und warteten. Zum Mittag  mussten Mirco und Marco allerdings einen Kasper in ihrer Suppe gehabt haben, denn sie hörten gar nicht mehr auf, rumzublödeln. Ich widmete mich gerade hingebungsvoll meinem Proviant, als Marco Mirco schubste, dieser Stefan anrempelte, welcher ungebremst gegen mich fiel und wir beide dann zu Boden gingen. Jenny versuchte noch, eine lustige Rauferei zwischen uns zu verhindern, als sie plötzlich innehielt und mit entsetzten Augen aufsah: Mein Apfel rollte schnurgerade auf die sechs Sargträger zu, die eben den Weg entlang kamen und besonders würdevoll nach vorn blickten. Der erste hob seinen großen Fuß mit den blankpolierten Schuhen. Als er ihn wieder aufsetzen wollte, traf er mit seiner glatten Sohle genau die verhängnisvolle Frucht, rutschte daran ab, begann zu straucheln, stütze sich in einer halben Drehung und dem verzweifelten Versuch, das Gleichgewicht zurückzugewinnen, mit der rechten Hand am Sarg ab, fiel über seine eigenen und vor des nächsten Füße, welcher den Griff vollends losließ, um nicht – den Kopf voran – über den Vordermann zu stürzen, während der dritte von hinten den Sarg nicht mehr waagerecht halten konnte und dieser mit der rechten, vorderen Kante auf dem Boden aufschlug.

Dann herrschte Totenstille. 

Den Leichenschmaus konnten wir vergessen. Es hagelte Hausarreste. Aber meine Mutter erzählte mir später, dass das halbe Dorf später darüber lachte, wie wir alle auf den Sarg gestarrt hatten, voller Panik in der Erwartung, der Deckel würde gleich aufspringen!

Was wir nicht wussten: Der alte Fritz hatte seinen Körper zu Forschungszwecken dem nächstgelegenen Universitätskrankenhaus vermacht. Im Sarg lagen nur ein Anzug und seine alte Pfeife.

Freitag, 18. Mai 2012

Kinonews: Dark Shadows - Ein typischer Tim Burton

‚„Vampire sollen wie Vampire aussehen“, sagt Johnny Depp‘
(cinemaxx.de/FilmeundStars/Uebersicht/0#StarUebersicht).
Stimmt wohl. Johnny Depp oder eher: Barnabas Collins – aus verschmähter Liebe von der schönen Angelique in einen Vampir verwandelt – hat einen leichenblassen Teint, dazu kontrastierend schwarzes Haar, dunkle Augenringe und eingefallene Wangen, wie es sich im klassischen Sinne für einen Angehörigen dieser Art geziemt.

Vor allem aber sieht man ihm und dem ganzen Film den Tim Burton an!

Es ist geradezu faszinierend bedeutungslos, ob der Regisseur seine Charaktere von Menschen aus Fleisch und Blut darstellen lässt, oder ob er sie künstl(er)i(s)ch animiert. Einerlei, ob die Szenerie in natura existiert oder nur am Computer generiert wird: In seinen Filmen tragen alle Figuren diese ätherisch-transparente Aura (außer den Statisten). Immer heben sich seine Kulissen scharfkantig gemeißelt, gleich einem Scherenschnitt, vom Hintergrund ab; stets bleibt die Atmosphäre auf ewig mystisch-unscharf wie eine neblige Moorlandschaft.
Dank dieser Kunstgriffe, dieser geballten visuellen Entfremdung seiner Werke von der realistischen Perspektive, ist selbst eine Vampirgeschichte, in welcher der Blutsauger sich dem unappetitlich-notwendigen Ernährungsritual des gierigen Bisses in den Hals, mit anschließender Zurschaustellung seines blutbesudelten Kinns, hingibt – erträglich.

Die Geschichte selbst ist ok. Es geht um Familie und Liebe, um besagte verschmähte noch dazu, um Geld - das Übliche. Johnny Depp spielt gewohnt trocken, ein wenig stiff, einen guten Hauch british eben. Aber durchaus den heimatlichen Wurzeln seiner Figur angemessen. Und immerhin hat er - also Barnabas Collins - eine Weile (200 Jahre, um genau zu sein) unter der Erde gedauert. Da kann es schon mal vorkommen, dass einer nicht ganz up-to-date ist. Aber insgesamt hat man auch schon unterhaltsameres gesehen. 

Freitag, 4. Mai 2012

Make a laugh

Da sitze ich. Im Zug. Wie so oft. Ausgebreitet an einem Viererplatz mit Tisch. Gedanklich wehre ich alle potentiellen Mitsitzer ab, denn ich will mich nicht unterhalten. Auch finde ich es angemessen, für meine Beinfreiheit zu sorgen. Mehrfach die Woche so lange im Zug zu sitzen, tut dem Körper nicht wirklich gut. Da sollte es schon so bequem wie möglich sein. Und zu guter Letzt arbeite ich hier. Oder sowas in der Art. Heute zumindest steht mein Laptop vor mir und wird benutzt.
Ich bin nicht die Einzige mit diesem Revierverhalten. Neben mir am Viererplatz sitzt ein Mann etwa meines Alters. Auch er hat sich breit gemacht. Bei ihm sind es Papiere, die den Platzanspruch verdeutlichen. Ein Kinnbart gibt seinem Gesicht einen James-Hetfield-Touch und er trägt so einen Knopf im Ohrläppchen, diese Dinger, die so ziemlich jeder heute trägt, einen Tunnel. Das Teil ist allerdings klein und geschlossen. In dieser Größe habe ich mich tatsächlich mittlerweile an diese Art des Schmucks gewöhnt und es sieht immer noch besser aus als bei dem jungen Mann einige Sitze vor mir in Fahrtrichtung. Der, mit dem größeren Tunnel im Ohr und Ochsenring in der Nase. Immerhin: dessen Freundin hat diesen faszinierenden Dita-von-Teese-Pin-up-Girl-Look mit dickem, schwarzem Lidstrich und rosa Haartuch im blondierten Haar, durchaus süß! Nur leider auch mit Metall im Gesicht.
Hinter mir sitzt ein ca. 40-jähriger Mann mit rotem Pullover, dem ich den Platz vor der Nase weggeschnappt habe. Ich hätte mich auch noch auf die andere Seite des Abteils setzen können, aber ich bevorzuge nunmal die Sonnenseite. Auch wenn es heute wolkig ist – man weiß ja nie! Er hat diesen anderen Platz vielleicht nicht gesehen. Wäre zumindest möglich, denn er sitzt mit dem Rücken zu mir, gegen die Fahrtrichtung und teilt sich den Tisch mit einem anderen Fahrgast. Aber auch sie reden nicht miteinander.
Wie immer herrscht also eine Atmosphäre des sich-gegenseitig-ignorierens. Soll mir recht sein. Allen anderen vermutlich auch.
Aber manchmal kommt einem etwas dazwischen.
In Buchholz hören wir die obligatorische Verabschiedung der aussteigenden Fahrgäste und den Hinweis auf die Anschluss… - es gluckst im Lautsprecher - …verbindungen mit dem Erixx in Richtung Hannover. Aber damit hat es sich auch schon.
Kurz vor Hamburg werden wir jedoch, natürlich freundlich, darauf hingewiesen, dass wir nun gleich angekommen sind. Es wackelt. In der Stimme. Der Zugbegleiter sammelt sich, und fährt fort: „Wir verab…“, es gluckst wieder, „…schieden uns“, glucker, „von allen …“. ...
„Bitte entschuldigen Sie!“, prustet es uns aus den Lautsprechern entgegen. Zur Antwort prustet und kichert es von allen Seiten um mich herum zurück, auch ich lache amüsiert. Mitnichten, der Herr – gar nicht notwendig, irgendetwas zu entschuldigen. Wir alle haben unseren Spaß!
Und ganz unversehens schauen wir einander in die Augen, grinsen uns an, und der Metallica-Typ erzählt gleich noch von dem Fahrgastbetreuer, der für 15 Minuten nicht mehr aufhören konnte, zu lachen …