Mittwoch, 25. April 2012

No presents, please!

Ich liebe Geschenke. Ja, wirklich! Ich liebe Geschenke. Schon allein deswegen mag ich weder auf meinen Geburtstag, noch auf Weihnachten oder sonstige Gelegenheiten verzichten, an denen ich sicher sein kann, etwas geschenkt zu bekommen! Ich LIEBE Geschenke!!!

Das geht aber nicht jedem so.

Letzte Woche feierte meine Freundin C. ihren 50ten Geburtstag. Sie lebt seit einiger Zeit in Köln, kam aber nach Bremen, denn zuvor war sie hier zu Hause. Und hier versammelte sie ihre Freunde für diesen speziellen Tag um sich.
Sie wünschte sich eine Spende an das Kinderhospiz Löwenherz – und ganz ausdrücklich: keine Geschenke!
Das ist kein neuer Zug von ihr. Ganz im Gegenteil. Ich kenne sie nicht anders. Und alle anderen mit Sicherheit auch nicht! Natürlich kann man damit argumentieren, dass es ihr schlicht schwer fällt, sich etwas geben zu lassen, während sie selbst absolut großzügig ist. Vielleicht ist es manchmal sogar genau aus diesem Grund wichtig, ihr mehr zu geben, als sie erwartet! Aber das ist eine andere Geschichte. Hier geht es vorerst darum, ihren Wunsch zu erfüllen. Ihr Wunsch war: KEINE (!!!) Geschenke.

Hat nicht geklappt.

Wie die meisten Frauen kauften fast alle ihrer Freundinnen eine hübsche, sperrig eingepackte, natürlich annähernd (ver-)brauchbare, aber überflüssige Kleinigkeit. Vermutlich hofften sie, dass nicht allzusehr auffiele, dass sie den Wunsch des Geburtstagskindes schlicht ignorierten. Statt dessen schenkte eine jede sich selbst etwas: die Erleichterung, nicht gegen ihre Gewohnheit und die gute Erziehung zu verstoßen, die behauptet, es gehöre sich einfach, zu einer Einladung ein Präsent zu überreichen. Ist das so?

Ist es nicht vielleicht sogar respektlos, der Bitte zuwider zu handeln?
Oder egoistisch? Ist es nicht im harmlosesten Fall gedankenlos, wo man doch eigentlich das Gegenteil demonstrieren möchte? Denn welche dieser Freundinnen hat tatsächlich darüber nachgedacht, worüber C. sich wirklich gefreut hätte? Welche der Freundinnen hat versucht, ihre eigenen Bedürfnisse (bloß nicht mit leeren Händen dastehen!) weniger wichtig zu nehmen als die Person, um die es angeblich ging? Vielleicht hätten sie ihr kein größeres Geschenk machen können, als ihren Wunsch zu erfüllen. Vielleicht hätte jede klarer sagen können: „Ich sehe Dich. Ich kenne Dich. Ich respektiere Dich.“, indem sie ihr die Leichtigkeit leerer Hände geschenkt hätten? Indem sie ihr erlaubt hätten, einfach C. zu sein, die keine Geschenke haben möchte?

Und als wäre das noch nicht genug, worüber man sich Gedanken machen könnte, so hatten all die schönen Gaben noch einen weiteren Makel: C. war mit dem Zug angereist. Und wer bitte reist gern mit viel Gepäck im Zug? Nicht mal ich. Und ich liebe Geschenke.

Montag, 23. April 2012

Manchmal tut's auch ein Klassiker

Die Ostertage neulich fand ich wirklich gut. Soviel Zeit, in der ich nichts konkretes geplant hatte. Endlich einmal nur das tun, was mir in meinen eigenen vier Wänden zu tun einfallen könnte oder es auch einfach lassen. Zum Beispiel: den großen Stapel „DIE ZEIT“-Zeitungen reduzieren (gemacht); einfach nur Musik hören (auch gemacht); aufräumen (sogar das – ein wenig, ich bin ja gegen jegliche Übertreibung)… Oder auch: DVDs aus meinem Bestand schauen, die ich noch nie gesehen habe. Einige Exemplare stammen von irgenwelchen Frauenzeitschriften, die damit Kundinnen ködern wollten. Für die jeweilig Ausgabe hatten sie bei mir damit Erfolg.

Unter anderem: Ein Herz und eine Krone, eine Dreingabe der Vanity Fair, vor geschätzten zwei Jahren. Ein alter schwarz-weiß-Film, mit Audrey Hepburn und Gregory Peck. Die Geschichte einer Prinzessin, die aus dem Palast ausreißt, um mal ein paar Stunden „prinzessin-frei“ zu haben und kurz darauf von dem Journalisten Joe Bradley auf einer Mauer schlafend gefunden wird. Vollkommen ungeplant landet sie dann - auf seinem Sofa.
Bisher konnten mich alte Filme nicht vom Hocker reißen – meist sind sie mir zu dramatisch, zu überkandidelt. Und bei diesem speziellen Stück hatte ich noch dazu die Erwartung, dass ein schlechtes Ende bevorstünde. Als absolute Befürworterin des „Happy End“ boykottiere ich in der Regel nicht-happy-end-Geschichten! (Bei Titanic habe ich allerdings mehrfach die Ausnahme gemacht).
Jedenfalls: Schnell stand die Ahnung im Raum, dass dieser Film Charme hat! Gut, die Hauptdarstellerin hat einen wesentlichen Anteil daran. Ist Audrey Hepburn nicht geradezu bekannt für ihren Liebreiz und eben – Charme?! Davon abgesehen ist auch Gregory Peck absolut nicht zu verachten. Ein Bild von einem Mann! (Es ist ein alter Streifen, da müssen geradezu unmoderne Begriffe und Formulierungen herhalten).
Rein inhaltlich betrachtete, musste ich jedoch spätestens über den Charakter des Joe Bradley schmunzeln, als er eine  absolut durchschaubare Taktik des Flunkerns seinem Redakteur gegenüber an den Tag legt, um den verpassten Interviewtermin mit Prinzessin Anne zu vertuschen. Dumm nur, dass er nicht weiß, dass dieser Termin offiziell wegen angeblicher Krankheit der Prinzessin abgesagt wurde. Er ist schon ein kleiner Halodri, der Gute. Pinocchios Nase hätte wohl gleich von Rom bis nach Paris gereicht!
Was mich aber dann endgültig überzeugte, war gegen Ende der Geschichte die Beobachtung eines sehr feinen Mienenspiels der Darsteller: ein Zucken im Mundwinkel hier, eine leichte Hebung der Augenbraue dort; ein Schlucken, das die Schwere des Momentes allein in die Bewegung des Adamsapfels legt ….
Auf eine sehr stille Weise, ohne jeden Text, erzählen gerade diese Szenen klar und deutlich von dem, wie es um das Seelenleben der Figuren bestellt ist! Ich war begeistert.
Natürlich habe ich seither etwas genauer hingesehen, wie es um die Mimik von Schauspielern egal welchen Filmes bestellt ist. Abgesehen davon, dass die meisten Geschichten, die ich in den letzten zwei Wochen sah, mit wesentlich lauteren Stilmitteln – wie z.B. einem Soundtrack – aufwarten, halte ich nach momentanem Stand genau dieses Element in Ein Herz und eine Krone für tatsächlich beachtenswert. Ist es große Schauspielkunst oder große Regiekunst? Oder beides?
Wie dem auch sei – ich werde diesen Film garantiert noch mindestens einmal sehen. Wegen der Schauspieler, wegen der Geschichte und wegen der Mimik. Oder vielleicht auch in einer anderen Reihenfolge der Gründe. Denn eins ist klar: Es lohnt sich.

Sonntag, 22. April 2012

In einer anderen Welt?

1Q84 begegnete mir an einem dunklen Winterabend in der Bahnhofsbuchhandlung. An diesem Abend mochte ich es mir nicht verkneifen, diesen Fund liegen zu lassen und außerdem ging es darin um einen Schriftsteller. Zumindest, soweit ich das anfangs beurteilen konnte ;-)

Tengo ist Mathematiklehrer an einer Yobiko, einem privaten Institut zur Vorbereitung von Studienanwärtern auf die Aufnahmeprüfungen. Davon abgesehen gilt seine Leidenschaft der Schriftstellerei. Bisher hatte er damit keinen Erfolg, aber er lektoriert andere Werke und bei seinem Herausgeber hat seine Meinung Gewicht. Schließlich wird er Fukaeris Die Puppe aus Luft überarbeiten, damit diese hoffentlich einen Debütpreis gewinnt – was auch tatsächlich passiert.

Aomame ist Fitnesstrainerin und mit dem menschlichen Körper zutiefst vertraut. Wenn es notwendig ist, betätigt sich als Auftragskillerin im Namen der Menschlichkeit.

Beide leben am Rande der Gesellschaft, sind im Grunde Einzelgänger und ihre Schicksale letztlich eng miteinander verwoben.

Die Geschichte um Die Puppe aus Luft im Jahr 1Q84 (einer Paralellerscheinung zu 1984) wird abwechselnd mit dem Blick auf Tengo und Aomame erzählt. Zwei von drei Büchern sind in diesem Band zusammengefügt. Dabei ist das erste Buch stärker von Handlung getragen, während Buch zwei sich überwiegend mit dem Innenleben der beiden Protagonisten in ihrer jeweiligen Situation befasst.

In Buch eins bleibt vor allem die Frage bestehen: Worum genau geht es hier eigentlich? Auf Seite 400 ist es mir noch nicht klar. Die Geschichten von Tengo und Aomame scheinen in keinem Zusammenhang zueinander zu stehen, und beide weisen als Einzelgeschichten ebenfalls keine klar greifbare Richtung auf. Genausogut könnte man seinem Nachbarn dabei zusehen, wie er sich auf den täglichen Spaziergang mit seinem Hund vorbereitet und auch tatsächlich das Haus verlässt, obgleich das Erzählte natürlich weit mehr Kuriosität aufweist.

Interessant finde ich die schriftstellerische Aspekte, die – durch die Figur bedingt – vor allem in Tengos Anteilen zum Tragen kommen, und Aussagen wie: „Wenn in einer Geschichte eine Pistole vorkommt, muß sie auch zum Einsatz kommen“, lassen aufmerken. Auch wenn diese ein Zitat ist. Merkwürdigerweise fällt es jedoch in einem Aomame-Kapitel. Diese Verwobenheit erzählerischer Elemente über verschiedene Charaktere hinweg irritiert, denn sie zeichnet keine klaren Charakterstrukturen, sondern lässt den Verdacht aufkommen, dass der Autor ein bestimmtes Kontingent an Inhalt einfach immer wieder aufrollt, um der Geschichte Volumen zu verleihen.

Einzig Fukaeri, die Autorin von Die Puppe aus Luft zeichnet sich durch eine konsequente Andersartigkeit aus, und es stellt eine echte Herausforderung dar, ihre Art des Fragens ohne Fragezeichen zu intonieren. Wie geht das, wenn Fukaeri fragt: „Darf ich die Hand noch halten“ (S. 203), ohne dabei die Stimme einem Fragesatz gemäß zu modulieren? Eins kann ich dazu sagen: es ist nicht leicht!

Faszinierend ist jedoch auch Aomames Konzentrationskraft zu beobachten. Stück für Stück kann man sie begleiten bei der Entdeckung, dass irgendetwas in ihrer Welt im Jahr 1984 nicht stimmt. Selbst die Feststellung: “Ich bin nicht verrückt. Die Welt ist verrückt. - Aber denken das nicht alle Verrückten?“ besticht in seiner analytische Exaktheit, die sie an dieser Stelle konsequent auch auf ihre eigene Wahrnehmung anwendet.

Mit der Zeit fällt auf, dass Murakami Gedankengänge zu oft wiederholt, ohne dieser Wiederholung Sinn zu verleihen. Er verdeutlicht auch nicht, dass er bzw. die Figuren sich dieser Wiederholungen als solcher bewusst sind. Mehr als einmal fragte ich mich, ob der Autor lediglich vergessen hatte, dass er eine Darstellung bereits in genau der gleichen Weise verwendet hatte, wie z.B. beide Male, als Tengo seinem Vater begegnet, und er beide Male feststellt, dass dieser um eine Kleidergröße kleinergeworden wirke. Bei der zweite Erwähnung hätte ein „und wieder“ oder ähnliches die Feststellung eines erneuten Schrumpfens oder z.B. ein „wieder fiel ihm auf“ die bewusst wiedererlebte Beobachtung verdeutlichen können. Solche Doppelungen kamen sogar auf einer einzigen Seite vor, ohne dabei ein Verstärkung des bisher beschriebenen zu bewirken, wie es damit durchaus geschehen kann. Vor allem das zweite Buch ist an vielen Stellen schlichtweg in die Länge gezogen, die gedanklichen Reflexionen erscheinen oft überflüssig und keineswegs mit einem natürlichen Denkprozess vergleichbar (jedenfalls nicht mit meinem). Stattdessen wirken sie wie wohlausgefeilte Reden und Rechtfertigungen. Vermutlich hätte dieser Band ohne weiteres um mehr als 100 Seiten kürzer sein können. Der Inhalt wäre der gleiche geblieben.

Da die Geschichte selbst aus insgesamt drei Bänden besteht, fehlt diesem Buch ein konkreter Schluß. Das Ende des letzten Kapitels würde ebenso wie alle anderen dazu verleiten, die Seite umzublättern – wenn denn noch Seiten da wären.

Hierin liegt aber auch die Stärke des Romans. Trotz der Längen, obwohl das erste Buch kaum Anhaltspunkte liefert, worauf die Gesamtkomposition überhaupt hinauslaufen soll, trotz der immergleichen Anleihen an Nebenthemen (Musik, Literatur, die Akebono…) für alle beteiligten Figuren ohne gemeinsamen Erfahrungshintergrund, der einen relativen Einheitsbrei aller Figuren untereinander entstehen lässt, fällt es erstaunlich leicht, immer weiterzulesen. Vielleicht liegt es an dem derart ausgelösten Bedürfnis, doch noch Ordnung in das Chaos zu bringen. Vielleicht gilt es, weiterzulesen, um Seite für Seite hoffentlich mehr Puzzleteile des Gesamtbildes herausarbeiten zu können. Dabei geschieht das Umblättern ganz automatisch. Trotz aller Kritikpunkte schafft Murakami es, eine Welt zu weben, in die sogar der Leser hineingezogen wird.

Wenn man also Zeit hat, die nicht verloren scheint durch zuviel Doppeltes – dann kann man Murakamis Geschichte genießen als fantasievolles Konstrukt aus Welt und Paralellwelt, aus fast alltäglichem und fremdartigem, aus Menschlichkeit und Mythos. Allerdings sollte man dann wohl auch in Betracht ziehen, Band drei gleich mitzukaufen und noch ein paar Tage Lesezeit dranzuhängen.

Mittwoch, 4. April 2012

Rasante Leichensammlung

Neulich habe ich auf Vorablesen.de mal einen Krimi ergattert. Es ist zwar nicht so, dass ich Krimi’s zu meiner Lieblingslektüre zähle, aber hin und wieder können sie ganz amüsant sein. Es soll ja Leute geben, die lesen solche Romane der Spannung wegen. Das ist nicht so ganz mein Metier. Für mich sind die kriminellen Machenschaften eher Randthema. Aber die ermittelnden Figuren, ihr Umfeld – und manchmal sogar die Sonderbarkeiten der Täter, solange sie noch menschlich sind – die sind oft genug recht interessant. Nicht wahr?
Nun gut, mein erster gewonnener Krimi stammt von Harry Kämmerer. Es ist sein zweites Werk und heißt Die schöne Münchnerin. Selbige ist dabei  weder die erste noch nicht die einzige Leiche in diesem turbulenten Reigen um Schönheitswahn, Organhandel und Geldgier.
Von Anfang an wuseln viele Menschen und diverse Leichen über die Seiten. Allein der Einstieg reißt den Leser sofort mit – „Wwwrrroooaaaarrrrrrrrrr…“ – und die wiederholt enorm unprätentiöse Darstellung im Angesicht des Todes ist beeindruckend: „Wenn er wenigstens an die Anlage käme, um sie abzustellen. Keine Chance. Orchester und Chor schwollen noch einmal machtvoll an, als er das schwarze Wasser schluckte. So schmeckte also der Tod.
Dann verstummte auch Verdi.“
Durch schnelle Sprünge zwischen den Personen und Situationen kam es jedoch, dass ich eine Weile brauchte, bis die einzelnen Charaktere genug Eindruck hinterlassen hatten, um als Figuren jeweils ihren Platz in der Geschichte einzunehmen. Dosi und Gesine, Hummel, Zankl, Mader, Dr. Schwarz, Dr. No, Dr. Hanke, Dr. Weiß... Erst bei Seite 180 fiel mir auf, dass ich sie nun endlich alle zusammensortiert hatte.

Aber diese Geschichte lebt auch von sehr hohem Tempo. Dabei schafft Kämmerer es, dem lesenden Geist mit eher knappen Beschreibungen viel Raum für Phantasie zu geben, aber auch nicht zu viel. Pointiert erfasst er das Wesentliche: „Punkt Viertel vor acht entstieg sie einem Taxi – ihr beim Aussteigen freigelegtes Strumpfbein wirkte irritierend attraktiv auf ihn. Öha.“ Gerade durch den kompakten und schnellen Erzählstil mündet seine Erzählung immer mal wieder in einem gelungenen Witz.

Die für meinen Geschmack interessanteste Frage wird leider nicht befriedigend beantwortet: Warum lässt sich eine schöne Frau mit einer schönen Nase eine andere anoperieren?
Davon abgesehen haben Mader & Co. nach dem Lesen nun aber ihren Platz im Regal gefunden und können dort auch erst einmal bleiben. Da noch mehrere Fälle für das Team zu erwarten stehen, kann die geleistete Kennenlernarbeit beim nächsten Werk ja vielleicht in einem vertrauten Wiedererkennen münden. Und falls irgendwann mal Unterhaltung von Nöten ist, aber kein neuer Roman zur Hand – kann ich mir vorstellen, Die schöne Münchnerin eventuell erneut zu bemühen. Und das ist ja immerhin gar nicht mal so oft der Fall…