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aus seiner
Vergangenheit zu erzählen –
Eine monologartige Erzählung
Natürlich, ich stimme Ihnen zu! Voll und ganz, aus
Überzeugung und intensiver Auskostung diesen Potenzials zur Unterhaltung der
Umgebung. Natürlich, das Leben ist eine Schatzkiste voller Erlebnisse,
Erfahrungen und Eindrücke. Wie sollte man nicht – vor allem als literarisch
tätige Person – diesen Schatz nutzen, tief hineintauchen und bergen, was immer
sich dort an Reichtümern findet? Ihre Frage ist berechtigt und soll eine
Antwort finden.
Ganz einfach, sage ich Ihnen: wenn bereits zur Genüge
getaucht worden ist, der Erzähler die Jagdgründe in- und auswendig kennt und
sich nun nach neuen Horizonten sehnt – dann, ja, dann gleicht es einer Tortour,
sich erneut zu wappnen und hinabzusteigen in die eigenen Weiten und Tiefen, um
im Schlamm der Vergangenheit zu wühlen, dessen er doch längst so überdrüssig
ist!
Und so macht der Erzähler sich auf, neue Welten zu
entdecken, wenngleich, da er so lange auf sich selbst fokussiert gewesen war,
er Schwierigkeiten haben mag, einen Anfang zu finden, schon allein in der Wahl,
wo er diese suchen soll. Doch er hat Glück: er lebt in einer Zeit, die sich des
Papiers bedient und der Technik, und so mehr als nur Buchstaben, gleich ganze
Sätze und mit ihnen Geschichten und Geschehnisse verbreitet sind, in mehr oder
minder sinnvollen Zusammenhängen, und kaum hat der Erzähler sich also
entschieden, sich der Presse zuzuwenden, wird er fündig! Eine Zeitung bringt
ihm die ersehnten Neuperspektiven: mit politischer Verfolgung, menschlichen
Dramen, wirtschaftlichen Pleiten. Sogar einige positive Eindrücke lassen sich
ausmachen, darüber, was es sonst noch so zu sehen gibt auf dieser Welt.
Und so vertieft sich der Erzähler, bevor er erneut zu
erzählen beginnt, in das raschelnde Papier. Er lässt Radio und Fernseher
schweigen, um vollends einzutauchen, wieder einmal, nur diesmal nicht in seine
eigenen, sondern die Abgründe der Welt und er staunt nicht schlecht, und das
nicht nur über seine schwarzen Finger am Ende der Lektüre. So empfindet er
schließlich seine eigenen Katastrophen, verglichen mit diesen, als durchaus mäßig,
ist erschüttert von den Strukturen, die sich da zeigen im Umgang der Menschen
miteinander, und beglückwünscht sich zum äußeren Frieden seiner Vergangenheit,
wie sehr sie ihn auch gebeutelt haben mag. Immerhin: er lebt und er lebt gar
nicht mal schlecht. In seinem Körper, in seiner Wohnung, in seiner Straße, in
seiner Stadt, in seinem Land. Sogar in seinen Beziehungen!
Und so lehnt er sich zurück in seinem Lehnstuhl und schaut
sich zufrieden um in all dem und eine seltsame Ruhe überkommt ihn und der Drang
zu erzählen lässt für einen Moment nach, denn seine Geschichte ist ja längst
erzählt und erzählt und wieder erzählt und sogar wahrhaft zur Genüge erzählt,
vollends, so, wie sie bisher war und er sie kennt.
Doch das Neue, was er nun sieht - auch das mag oft
wiederholt werden und manch einem viel zu oft. Ein Anderer kann vielleicht gar
nicht mehr zuhören, ein Dritter verschließt die Augen und leidet im Luxus, ohne
sich dessen gewahr zu sein, blind für den Reichtum seines Seins.
Und so sitzt der Erzähler in seinem Lehnstuhl und denkt all
diese Gedanken, die ihren Ursprung darin gefunden haben, dass er sein eigenes
Leben so ausführlich erzählt hat an anderer Stelle und auch das bereits Geschriebene
so oft wiederholt ist, dass es langweilen mag. Was bleibt ihm noch zu tun? Und während
er dasitzt und sich wundert, so bleibt doch sein gelassenes Herz weit und wie
nebenbei streift sein Blick das Papier, und mit einem Mal sieht er neue Geschichten.
Geschichten, die sich speisen aus der Gegenwart dessen, was dort steht und aus seiner
Fantasie; Geschichten, die, obgleich
nicht seine, weil nicht von ihm gelebt, so dann doch seine, weil von ihm
erdacht und verbunden mit den Schätzen, die er schon zuvor gefunden hat in den
Tiefen seines eigenen Seins und Erlebens und so entscheidet er, doch weiterhin
Erzähler zu bleiben, solange sich ihm Sätze zeigen, die sich zusammenfügen in
seinem Geist zu Bildern und Erzählungen; vielleicht kein Realitätsschreiber,
sondern ein fiktiver, und doch keineswegs fiktiv, denn die Emotionen und Bilder
– sind sie jemals wahrhaft neu? Oder nicht doch immer nur neu in ihrem
Zusammenspiel, mal lustig, mal schaurig, mal heiter, mal traurig – ups, das
reimt sich jetzt auch noch. Und ja, so gebe ich Ihnen noch einmal Recht: Das
eigene Leben ist eine unverzichtbare Schatzkiste, und seien nur die Farben
daraus verwendet, die den Grundton ergeben, in dem die Erzählung erstrahlt.